Neues Blog über Förderdiagnostik, Lernen und Unterricht

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Mit großer Freude konnte ich vor einigen Wochen gemeinsam mit Prof. Dr. Erwin Breitenbach, meinem langjährigen Kollegen und Doktorvater, ein in Deutschland einzigartiges Projekt ins Leben rufen: Ein fachlich anspruchsvolles, aber von Verlags- und Fachzwängen freies Blog rund um Förderdiagnostik, also das Verstehen von Fehlern und den Aufbau von fehlenden Lernstrategien und Inhalten. Wir schreiben nicht neutral, sondern bewusst stellungnehmend und bewertend über Lehrmethoden, Testverfahren, Begabung, Behinderung, pädagogische Wege und Irrwege. Wir sammeln Grundlagenwissen für Eltern und Fachleute und zeigen, warum wir bestimmte Dinge für wichtig und andere für überschätzt halten. In einem zusätzlichen Shop haben wir gute Fachliteratur ausgewählt, um Ihnen unnütze Lektüre schlechter Bücher zu ersparen. Auch Filme rund um Erziehung, Behinderung und Selbsterziehung haben wir als Anregung aufgenommen.

 

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Das Ende der fachlichen Autorität

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Ich bin heute über einen Blogartikel von Tom Nichols gestolpert, dem ich nur beipflichten kann. Er bringt auf den Punkt, was ich genau wie viele andere Kollegen zunehmend erlebe: Es geht um die Behauptung, in einer demokratischen Gesellschaft hätten alle Aussagen, egal von wem, das gleiche Gewicht. “Experten” hätten in Wirklichkeit nicht einen Wissensvorsprung, den man bescheiden nachzuvollziehen versuchen sollte. Wer eine gut belegte Position vertritt, weil gegenteilige Aussagen widerlegt sind, der sei in Wirklichkeit nur “autoritär” oder “biased” oder “voreingenommen”. Der eigentliche, kritisch-rationalistische Prozess, in dem wissenschaftlich engagierte Menschen versuchen, Aussagen durch Widerlegungsversuche zu prüfen, wird damit unterminiert. Wir sehen es in alltäglichen Situationen: Man erklärt aus fachlicher Sicht, warum etwas so und so ist und daraus die Empfehlung x abgeleitet werden muss – und dann sagt das Gegenüber: “Ja, das sehen Sie vielleicht so, aber ich glaube das nicht. Ich habe gute Erfahrungen mit Homöopathie / Ich fühle, es ist anders / Ich habe aber einmal erlebt wie / Aber meine Kinesiologin rät mir…” (Die ehrliche Fassung wäre: “Das ist mir aber zu anstrengend / Das habe ich nicht verstanden / Ich möchte mich aber nicht selbst erziehen müssen”). Die Aussagen sind beliebig ergänzbar.

Logische Wahrheit wird behandelt, als gäbe es sie nicht, als sei alles diskursiv und es gäbe keine wahren bzw. falschen Aussagen. (Dennoch ist es offenbar ganz wichtig, dass jeder seiner eigenen folgt und nicht der des qualifizierten Gegenübers.) Eine Wurzel davon ist der irrige Kult um das Stichwort “Wahrnehmung” – die durch Hegel, Merleau-Ponty, Edmund Husserl und andere verbreitete billige Auffassung, Wahrnehmungen könnten wahr sein, seien aber eben subjektiv verschieden, hat als idealistischer Sauerteig inzwischen die ganze Gesellschaft durchgoren. Man kann nur hoffen, dass die nächsten Jahrzehnte einen Umschwung zurück zur Rationalität bringen. Karl Popper rotiert sicherlich im Grabe angesichts der aktuellen geistigen Situation unserer Zeit.

Ich will Ihnen nicht vorenthalten, was Tim Nichols schreibt:

“Today, any assertion of expertise produces an explosion of anger from certain quarters of the American public, who immediately complain that such claims are nothing more than fallacious “appeals to authority,” sure signs of dreadful “elitism,” and an obvious effort to use credentials to stifle the dialogue required by a “real” democracy.

But democracy … denotes a system of government, not an actual state of equality. It means that we enjoy equal rights versus the government, and in relation to each other. Having equal rights does not mean having equal talents, equal abilities, or equal knowledge. It assuredly does not mean that “everyone’s opinion about anything is as good as anyone else’s.” And yet, this is now enshrined as the credo of a fair number of people despite being obvious nonsense.”

Jedermanns Meinung ist so gut wie jede andere. Kein Wunder, dass die Abschaffung von Leistungsbeurteilungen in Deutschland soviel Unterstützung findet. Dass damit auch die Wertschätzung für Leistung ein Ende haben wird, ist sicher auch nur meine irrelevante Meinung. Vielleicht finanziert ja Finnland oder ein anderer PISA-Sieger dann die vielen BMWs und Einfamilienhäuser, ohne die unsere 45% Abiturienten (oder 100% inklusiven Gesamtschulabsolventen) nicht standesgemäß werden leben können…

Zwergenschule 2015/2016 – Erste Klasse voll – Kostenerstattung

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Im Schuljahr 2015 / 2016 wird es mindestens zwei Klassen in der Zwergenschule geben, bei Bedarf auch drei. Jetzt (Februar 2015) sind bereits soviele Anmeldungen eingegangen, dass schon eine Klasse mit 6 Kindern voll ist. Eltern, die ihr Kind anmelden möchten, können das bereits jetzt tun. Ab dem Schuljahr 2015 / 2016 wird es voraussichtlich sogar einen kostenlosen Bringservice zum Kindergarten geben!

Besonders, wenn Sie eine Kostenübernahme durch den Bezirk Oberbayern beantragen möchten, sollten Sie das frühzeitig erledigen, da die Bearbeitungszeit ca. zwei Monate beträgt. Diese Möglichkeit nehmen im Moment etwa die Hälfte der Zwergenschüler in Anspruch und ich kann sie sehr empfehlen, da so bis zu 30 zusätzliche Stunden zur individuellen Förderung ohne weitere Kosten für Sie zur Verfügung stehen. Für weitere Informationen rufen Sie am besten in der Zwergenschule an unter 08095 / 871 758.

Sonderpädagogik = Inklusion?

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Nach meinem Vortrag zum Thema “Mut zur Urteilsfähigkeit – Idealismus vs. Rationalismus in der Sonderpädagogik” an der Humboldt Universität Berlin habe ich von den Studierenden viele Rückmeldungen erhalten, die ein verstörendes Licht auf den momentanen Zustand der Sonderpädagogik werfen. Gerade Studierende in den ersten Semestern hatten den Eindruck, in der Sonderpädagogik ginge es nur um Inklusion. Vorhandenes Fachwissen außerhalb dieses Themas würde z.T. selbst in Veranstaltungen, die das erwarten ließen, nicht vermittelt oder ausschließlich unter Inklusions-Prämissen dargestellt. Das sehe ich mit großem Bedauern – schließlich verdanke ich mein Fachwissen einem sonderpädagogischen Studium, das ohne ein solch eklatantes Maß an ideologischen Scheuklappen auskam und daher eine enorme Breite an Kompetenzen und auch Standpunkten vermitteln konnte. Von ganz verschieden positionierten Dozenten wie Erwin Breitenbach, Peter Heinrich, Walter Straßmeier, Manfred Thalhammer, Andreas Möckel und der nicht-verschulten, prä-Bologna Studiengestaltung, die Seminararbeiten nach frei gewählten Themen zuließ, konnte man “zu meiner Zeit” (eine vergangene Ära?) enorm profitieren. Ich glaube nicht, dass ich mit einem heutigen Sonderpädagogik-Studium die eigentlich doch äußerst inklusive Kompetenz erlangt hätte, mit Kindern und Erwachsenen, mit Hochbegabten und Schwerbehinderten, mit Vorschülern und Abiturienten zu arbeiten.

Aber vielleicht besteht noch Hoffnung, dass die Studierenden die selbst auferlegten Scheuklappen unseres Faches als solche erkennen und sehen, dass die Sonderpädagogik sich vom Gängelband der political correctness losmachen kann und dabei an Profil gewinnt statt zu verlieren. Eine Nachricht von einem Studierenden, Herrn Moritz Roos, lässt mich das zumindest hoffen und ich möchte sie hier gerne zitieren – ich wünsche allen Studierenden den Mut zu so viel Urteilsfähigkeit!

Inklusion wird momentan “zum absoluten Fixpunkt erklärt, auf den man zuzusteuern habe. Dass in Beiträgen von Sätzen wie “Die Inklusion wird viel Geld kosten. Aber sie wird die Gesellschaft wunderbar verändern”, “[Inklusion] ist das Alpha und Omega in der Demokratie” oder “Inklusion ist eine Realvision” zu Sätzen wie “Inklusion bedeutet Wertschätzung” übergegangen wird, zeigt denke ich erstens die Unfähigkeit
der nüchternen Betrachtung dieses Themas in der Öffentlichkeit wie an der Uni (die ja dieses diffuse politische Projekt qua Amt zu entwerfen hat). Das finde ich sehr schade.

Zweitens sichern einem die Beispielsätze zu, dass man so argumentativ immer auf der Gewinnerseite ist – denn die Worte “Inklusion” und “Wertschätzung” in einem Satz zu verbinden, entsagt einem Kritiker des ersteren logisch auch die Bereitschaft zu zweiterem.
Dass Heribert Prantl, der Verfasser des Beitrags, dem diese Sätze entnommen sind, als Jurist und Publizist vermutlich nie mit behinderten Menschen länger Kontakt hatte oder mit ihnen gearbeitet hat, ist nach solch politischen und schweren Worten natürlich nicht mehr von Belang…” Moritz Roos, Berlin (Quelle der Zitate: Heribert Prantl, Vortrag vom 5. Juni 2014: “Für eine Demokratie ohne Barrieren – Inklusion als zweite deutsche Einheit”, in: “Blätter für deutsche und internationale Politik” 8/2014 S. 73ff)

 

Ja, mit Äußerungen zur Inklusion kann man sich momentan sehr billig als Gutmensch darstellen. Warten wir ab, ob die Sonderpädagogik als Fach sich damit auf Dauer zufrieden geben wird.

Das Zwergenschuljahr beginnt

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Am 7. und 9. Oktober beginnt mit zwei Klassen von Vorschülern das neue Jahr in der Zwergenschule. Heute sind rechtzeitig die Zwergenschulsackerl eingetroffen, die die Kinder am ersten Schultag mit Namensperlen versehen und mit ihren allerersten Schulhefte bepacken dürfen. Danke an Sabine Meißner von binesbuntewelt.de für die (wie immer) tolle Fertigung. Dieses Jahr gibt es sogar eine verbesserte Version mit besonders haltbarer Schlaufe, für die wilderen Zwergen 😉 Nach der Zwergenschule findet der Beutel seinen Platz als Aufbewahrung im Kinderzimmer oder als Turnbeutel in der Schulzeit.

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Woran erkenne ich gute Nachhilfe?

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Wie so oft fragte mich diese Woche eine Mutter, wie sie denn einen guten Nachhilfelehrer für ihr Kind finden könnte. In diesem Fall ging es nicht nur um Lücken in einem Paukfach, sondern um größere inhaltliche Defizite in Deutsch (4. Klasse). Was kann ich dazu raten?

Ideal wäre es, wenn der Nachhilfelehrer entweder Deutschlehrer(in) wäre oder eine Qualifikation als Legasthenie-Therapeut hätte, um die nötige Fehleranalyse und einen didaktisch sinnvollen Aufbau sicherzustellen. Abraten würde ich von allen Einrichtungen oder Personen, die als Zusatzqualifikation irgendeine Form von Kinesiologie (Edu-Kinesthetik, Brain Gym, Life-Kinetik, Wingwave® etc.) oder NLP (Neurolinguistisches Programmieren) angeben, selbst wenn sie gar nicht ankündigen, das bei Ihrem Kind anzuwenden. Denn das deutet verlässlich auf eine von vornherein falsche Einschätzung der Sachlage bei einem Kind mit Lerndefiziten hin.

Es ist oft hilfreich, wenn die Lehrkraft sich bei Deutschproblemen an einem guten Trainingsprogramm wie IntraAct oder dem Marburger Rechtschreibtraining orientiert, dies auf die wichtigen Lernbereiche des einzelnen Kindes beschränkt und es durch individuelle Erklärungen und Vertiefungen ergänzt.

Außerdem sollten Sie mit einer Nachhilfelehrkraft immer überprüfbare Ziele für die nächsten drei oder vier Monate absprechen; ein Halbjahr wäre zu lang. Die Lehrkraft sollte Ihnen zu Beginn jedes Planungsabschnitts eine Fehleranalyse, eine darauf beruhende Unterrichtsplanung und rückblickend eine Bewertung von Ziel und Erreichung vorlegen und mit Ihnen besprechen. Das kann ruhig knapp gehalten sein, eine halbe Seite kann da genügen, aber wichtig ist, dass entsprechend mitgedacht wird. Das ISB hat eine praktikable Vorlage für eine Fehleranalyse Deutsch erstellt. Es gibt vielfältige Anregungen zur Förderdiagnostik für diverse Fächer in einigen Broschüren heraus.

Zu guter Letzt ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn die Lehrkraft Ihnen für Ihr Kind Übungen für den Rest der Woche gibt, so dass es an mindestens 4 Tagen pro Woche eine kurze Übung absolvieren muss. Wenn eine Lehrkraft das für unnötig hält, schätzt sie die Lage falsch ein.

Bis sich eine Verbesserung in großen inhaltlichen Lücken in durchgehend besseren Noten niederschlägt, kann lange dauern, wenn die Defizite grundlegender Natur waren. Hapert es an der Rechtschreibung, am Leseverständnis und am Wortschatz oder in Mathematik am Mengenbegriff und am grundlegenden Verständnis des Dezimalsystems und der Operationen, dann wird das typische Konzept von “Nachhilfe” eigentlich gesprengt. Nötig ist hier ein wirklicher Förderunterricht, der idealerweise von jemandem durchgeführt wird, der das notwendige didaktische Wissen erworben hat. Das ist oft der Fall, wenn jemand sich zum Legasthenie- oder Dyskalkulie- “Therapeuten” weitergebildet hat. Leider ist aufgrund rechtlicher und pädagogisch-ideologischer Entwicklungen hier oft von einer “Therapie” die Rede, obwohl in Wirklichkeit meist eine sehr qualifizierte Didaktik das ist, was den betroffenen Kindern hilft, denn sie sind nicht “therapiebedürftig” im Sinne einer “Krankheit”, sondern sie haben komplizierte Dinge nicht verstanden und unzulänglich automatisiert.

Klassische Nachhilfe wird oft angefordert, wenn “bloß” ein Rückstand in Vokabeln vorliegt, Stoff in “Lernfächern” versäumt wurde oder ein einzelnes grammatisches oder mathematisches Phänomen unverstanden ist bei ansonsten gutem Grundlagenwissen. Diese klassische Nachhilfe kann aber dann nicht zum Erfolg führen, wenn mehr im Argen liegt als nur ein einzelnes, schwieriges Thema, das die Eltern auch nicht erklären können. Wenn hinter den Problemen unzureichende Übung und Automatisierung steht und Eltern aus Scheu davor, sich unbeliebt zu machen und streng zu sein zur Nachhilfe greifen, dann ist eigentlich Hilfe in der Lernerziehung für Eltern und Kind notwendig. Wenn das Kind seiner Begabung nach mit komplexen Inhalten überfordert ist, kann ein Intelligenztest und genaue Förderdiagnostik klären, ob es den Anforderungen auf Dauer gewachsen sein wird. Bei solchen grundlegenden Problemen helfe ich qualifziert weiter; Nachhilfe im klassischen Sinn biete ich nicht an.

Es sind eben doch 90% Schweiß…

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Soll Ihr Kind im neuen Schuljahr ein Instrument lernen? Und Freude dran finden? Dann lassen Sie die moderne Pädagogik fahren – in diesem Blogartikel wird die Klavierlehrerin Karen Berger in einem offenen Brief an Eltern Ihr erzieherisches Weltbild erschüttern 😉

Dear Piano Parents:

You’re probably getting mailings right now about fall activities for your kids. The soccer coach wants to know if you’re doing traveling team, the Little League coach is scheduling practices, the dance teacher is putting her classes together. And you’re wondering about piano lessons for little Johnny or Suzie.

Hier geht der Artikel weiter.

Münchner Studie zu Dyskalkulie und Legasthenie – Wenig Neues, viele offene Fragen

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Eine brandneue Studie von Prof. Schulte-Körne und seinem Team an der LMU untersucht an über 1600 Dritt- und Viertklässlern aus dem Münchner Raum, wie häufig die Schüler von Rechenschwäche, Rechtschreib- und Leseproblemen betroffen sind. Man kommt zu dem Ergebnis, dass insgesamt bei 3-6% der Schüler mit einer solchen Schwäche gerechnet werden muss (was nichts Neues ist) und dass über die Hälfte der betroffenen Schüler nicht nur in einem, sondern in mehreren der drei Bereiche Probleme haben. Das letztere ist eine eher ungewöhnliche Aussage, da bislang meist betont wurde, wie isoliert Teilleistungsstörungen zu betrachten seien. Obwohl die Studie dadurch punkten kann, dass die drei genannten Bereiche getrennt voneinander untersucht wurden, lässt sie doch viele Fragen offen, wenn man sie im Detail betrachtet und nicht nur die Pressemitteilungen liest:

(Verweise beziehen sich auf Seiten im pdf der Studie: Moll K, Kunze S, Neuhoff N, Bruder J, Schulte-Ko ̈ rne G (2014) Specific Learning Disorder: Prevalence and Gender Differences. PLoS ONE 9(7): e103537. doi:10.1371/journal.pone.0103537)

 

Keine Berücksichtigung der Intelligenz, der Unterrichtsqualität und der Lernerziehung

  1. Die Autoren sind stolz darauf, entsprechend dem DSM-5 Standard nicht länger zu berücksichtigen, ob beim teilleistungsgestörten Kind auch ein relativ niedriger IQ vorliegt (vgl. S. 2). Der IQ der Kinder in der Studie wurde nicht untersucht; man ging offenbar davon aus, dass alle Kinder einen IQ >70 hätten, da sie Regelschulen besuchten. Wie hoch ihr IQ war, wurde nicht erfasst. Das ist aus meiner Sicht eine große Lücke dieser Studie. Schließlich weisen knapp 16% aller Kinder einen IQ <85 auf und gelten damit nach langjähriger Auffassung als mehr oder weniger stark lernbehindert. Zugleich besuchen aber von diesen lernbehinderten Kindern die allermeisten, nämlich etwa 75%, eine Regelschule – und zwar nicht erst seit dem neuen Inklusionstrend, sondern schon seit Jahrzehnten. Die Leistungsfähigkeit dieser Kinder im Rechnen, Lesen und Schreiben ist oftmals eingeschränkt, das sollte berücksichtigt werden.

Bislang durfte eine Teilleistungsstörung immer erst dann festgestellt werden, wenn das Kind z.B. für die Diagnose “Legasthenie” bei den schlechtesten 3% der Rechtschreiber im Vergleich zur Altersgruppe lag und wenn zugleich der IQ im Verhältnis dazu so hoch war, dass eine bessere Leistung ohne Probleme zu erwarten gewesen wäre. Einfach gesagt: Es musste sichergestellt sein, dass ein Kind gut im abstrakten logischen Denken war, denn das ist eine Voraussetzung für gutes Rechnen und Rechtschreiben.

Nun war schon die bisherige Lösung nicht großartig, da sie fehlende Übung, schlechten Unterricht, und mangelhafte häusliche (Lern-)Erziehung außer Acht ließ. Aber immerhin war sichergestellt, dass grundlegend differenziert wurde: Ein Kind mit einem IQ von 80 tut sich mit so abstrakten Dingen wie Rechtschreibung und Rechnen nun einmal schwerer als ein Kind mit einem IQ von 120. Entsprechend anders muss der Förderunterricht für diese beiden Kinder gestaltet werden, und entsprechend anders darf der Erzieher agieren. Vom begabteren Kind darf mehr und schnellere Verbesserung bei guter Unterstützung erwartet werden.

Das fällt nun in dieser Studie komplett weg, und daher ist nicht klar, ob die als rechen-, lese- oder rechtschreibschwach beurteilten Kinder hauptsächlich Opfer ihrer Lernumwelt sind, da sie grundsätzlich gut ausgestattet sind, um in Deutsch und Mathe voranzukommen – oder ob sie zusätzlich erschwerte Umstände haben, da sie sich von Natur aus schwer tun mit der hohen Abstraktionsebene, die Rechnen und Rechtschreiben erfordern. Schulte-Körne bietet als Psychiater wie zu erwarten eine dritte Lösung an, die dem Trend der Medikalisierung entspricht: Es müsse eine Ursache im Gehirn geben und die Kinder seien letztlich krank. Damit ist ihnen nun am wenigsten geholfen.

 

Aus meiner Sicht und Erfahrung gibt es primär zwei große Gruppen von Grundschülern mit Teilleistungsstörungen:

Einerseits Kinder, die sich intellektuell schwer tun und in der Schule und zu Hause zu wenig Automatisierung erwerben, so dass sie zu den schlechtesten Rechnern / Lesern / Schreibern gehören. Wenn man berücksichtigt, dass etwa 12 von 100 Kindern einen IQ zwischen 70 und 85 haben, also bei deutlich unterdurchschnittlicher Begabung nicht auf der Förderschule sind, dann wären das bei 25 Kindern pro Klasse bereits 3 Kinder in einer Schulklasse, die besonders auf gute Erklärungen, viele Wiederholungen und zuverlässige Automatisierung angewiesen sind.

Andererseits gibt es Kinder, die einen recht guten IQ aufweisen, aber durch häusliche Verwöhnung, Konfliktscheu von Eltern und Lehrern, mangelnde Ausdauer und Frustrationstoleranz und unzureichende Automatisierung in Deutsch und Mathe fundamentale Probleme bekommen. Sie interessieren sich in anderen Fächern durchaus für Themen, die sie ansprechen, aber da sie mangels Pflichtbewusstsein und von außen sichergestellter Pflichterfüllung langweilige Dinge wie Übung und Sorgfalt stark schleifen lassen, entstehen schlechte Leistungen. Einen Sonderfall stellen besonders gut begabte Kinder dar, die nicht nach dem Prinzip “Pflicht vor Kür” erzogen wurden und sich daran gewöhnt haben, nur Neues interessant zu finden und Übung besonders zu verabscheuen.

Beiden Gruppen kann ein entscheidender Nachteil durch schlechten Unterricht und ausbleibende Fehleranalyse entstehen, der dann endgültig ihre Leistungen stark verschlechtert.

Auf alle diese Punkte könnte man im Unterricht und im Elternhaus eingehen und darauf basierende Hypothesen überprüfen.

 

Keine Fehleranalyse und keine Unterrichtsverbesserung

2) Das bringt mich zu Frage 2: Gerd Schulte-Körne hat sich als Autor des Marburger Rechtschreibtrainings immerhin mehr mit dem sprachwissenschaftlichen Aspekt von Legasthenie auseinandergesetzt als andere Mediziner. Ihm sind grundlegende didaktische Fragen nicht fremd. Aber es ist doch noch eine große Lücke zur Erfahrung, selbst lange und intensiv Deutsch unterrichtet zu haben. Entsprechend fehlt leider auch in dieser Studie die Untersuchung des Unterrichts und der Lernerziehung der betroffenen Kinder. Dabei wäre doch die Klassifikation von Kindern als “rechenschwach” oder “lese-rechtschreib-schwach” nur ein erster Schritt. Wenn diese Kinder gefunden wurden, müsste der nächste, wesentliche Schritt eine Erforschung ihres Unterrichts und ihrer häuslichen Lernumgebung sein, wenn man wirklich verstehen will, warum sie scheitern. Die Deutsche Gesellschaft für Lesen und Schreiben konnte in ihrem letzten Sammelband (Frühjahr 2014) ausführlich zeigen, dass gerade solche Untersuchungen viel zu selten sind. Welche Erklärungen haben anderen Kindern gerade noch genügt, waren aber zu unklar für diese Schüler? Hat ein Mangel an Übung und eine Auswahl unguter Arbeitstechniken zu ihren Problemen beigetragen? Gibt es Gemeinsamkeiten in den erzieherischen Auffassungen und “Baustellen” ihrer Eltern – jenseits der Frage, ob die Eltern selbst Schwierigkeiten mit Deutsch oder Mathematik haben?

Immerhin regen diese Autoren einige sprachbezogene weitere Forschung an sowie auch die qualitative Berücksichtigung von Begabungsprofilen (vgl. S. 7).

 

Ausschließlich quantitative Verwendung von Testverfahren statt Förderdiagnostik

3) Ebenfalls problematisch ist die Auswahl der verwendeten Testverfahren. Es ist zwar löblich, dass die Autoren nicht einfach nach der Einschätzung von Lehrern und Eltern sortiet haben, sondern das Vorliegen schlechter Leistungen im Rechnen, Lesen und Schreiben selbst mit Testverfahren überprüft haben. Allerdings wäre es eine sehr wertvolle Information gewesen, zugleich die Lehrkräfte und Eltern zu bitten, die Schüler entsprechend einzuschätzen. Das hätte sich mit wenig Aufwand nebenbei machen lassen und hätte sehr erhellt, wie gut oder schlecht die Lehrkräfte ihre Schüler und die Eltern ihre Kinder wirklich einschätzen können. Schließlich sind es in aller Regel die Lehrkräfte oder Eltern, nicht der Kinderarzt oder Psychiater, die als erste eine Teilleistungsstörung vermuten.

Die Leseflüssigkeit anhand von einfachen Textverständnisaufgaben zu testen (vgl. S. 4), ist sicher ganz in Ordnung und vor allem ökonomisch; eine Lautleseprobe wäre für den Einzelnen weitaus aufschlussreicher, aber auch etwas aufwändiger gewesen.

 

Die Rechenfertigkeiten wurden mit Hilfe des HRT (Heidelberger Rechentest) überprüft. Hier mussten in zwei Minuten möglichst viele von 40 schriftlichen Rechnungen steigender Schwierigkeit richtig gelöst werden. Eine qualitative Fehleranalyse fand nicht statt. Hieran kann man nun einiges aussetzen:

Erstens wäre es sinnvoll gewesen, Fehleranalysen durchzuführen, also zu untersuchen, welche Fehler welchem Kind unterlaufen. Schließlich gibt es viele Wege, falsch zu rechnen, und der Weg, den ein Kind wählt, sagt viel über seine Missverständnisse und Lücken aus. Wenn man das Kind laut rechnen ließe, könnte man sogar unterscheiden, ob überhaupt mangelndes Verständnis die Ursache für die schlechten Leistungen ist (das wäre meine o.g. Gruppe von Kindern mit großen Verständnisproblemen), oder ob nur mangelnde Automatisierung dazu führt, dass das Kind schlicht zu langsam ist und daher wenige richtige Lösungen in der vorgegebenen Zeit schafft. (Das wäre die von mir genannte, primär erziehungsbedigt rechenschwache Gruppe.) Schade, dass die Gelegenheit hierfür nicht genutzt wurde. Das Feedback für die einzelnen Lehrkräfte wäre äußerst wertvoll gewesen: Müssen sie ihre Erarbeitungsphasen im Unterricht verbessern? Haben sie mehrere Schüler, die besonders gute Erklärungen benötigen und unter verwirrendem Lernmaterial stark leiden? Oder müssen sie mehr wert auf Routine legen, täglich längere Übungsphasen einlegen, in denen mehr richtige Rechnungen pro Zeit das Hauptziel sind?

Zweitens gibt es im Rechnen (im Gegensatz zum Rechtschreiben) keinen Test, der mit Sicherheit alle rechenschwachen Kinder erfasst. Vor allen Dingen gibt es kein standardisiertes Verfahren, das die Irrtümer der Kinder erfasst; man misst bestenfalls die Anzahl der richtig gelösten Aufgaben pro Zeit. Dabei können rechenschwache, aber ausgefuchste oder unter starkem seelischen Druck stehende Kinder durchaus als nicht rechenschwach durchgehen, wenn sie ihre unguten Kompensationsstrategien wie z.B. das Abzählen mit den Fingern sehr schnell beherrschen. Seitens der Dyskalkulietherapeuten wurde hierauf schon vor fast 10 Jahren hingewiesen und erklärt, dass sich der HRT deshalb nur eingeschränkt zur Diagnostik von Rechenschwäche eignet. Es kann also sein, dass die Ergebnisse der Studie verfälscht sind, da sie die kompensierenden rechenschwachen Kinder nicht erfasst. Das ist nicht belanglos, da Ausweichstrategien, die noch in der 3. Klasse funktionieren, zu einer Verschleppung des Problems führen und in der Sekundarstufe dann zu wirklich großen Schwierigkeiten führen.

 

Dass die Autoren für den Bereich Rechtschreibung den DRT (Diagnostischer Rechtschreib-Test) wählten, ist zunächst sehr positiv. Der DRT ist meines Erachtens der Test der Wahl beim Erfassen von Rechtschreibproblemen – und zwar deshalb, weil er so eine differenzierte Fehleranalyse bietet. Die wurde aber ebenfalls nicht vorgenommen, obwohl die Daten ja vorliegen, sobald man den ausgefüllten Testbogen vor sich hat. Man müsste nur anstatt bloß Fehler zu zählen die Fehler noch in Kategorien ordnen. Das wäre enorm aufschlussreich, da man fragen könnte: In welcher Beziehung stehen die größten Fehlergruppen zum Unterricht? Wurden Rechtschreib-Themen, bei denen die Schüler viele Fehler machen, im Unterricht vernachlässigt? Hatte die Lehrkraft richtig einschätzen können, wo die inhaltlichen Schwachpunkte ihrer Schüler liegen und welche Bereiche sie gezielt im Unterricht intensivieren sollte? Korrelieren Fehler, die hauptsächlich auf mangelnde Automatisierung und wenig Lesen zurückzuführen sind (Fehler in häufigen Morphemgruppen, Fehler in Vorsilben…) mit einer Einstellung von Eltern und Lehrern, die wenig Bereitschaft zum konsequenten Üben signalisiert? Korreliert eine große Menge von Fehlern bei schwerer zu verstehenden Regeln (Großschreibung von Abstrakta, Ableitung vom Wortstamm, tz und ck) mit einem niedrigeren IQ?

Mir ist bewusst, dass jede Studie im ihrem Umfang begrenzt ist und dass nicht alle Fragen beantwortet werden können. Aber ich ärgere mich immer, wenn Kinderpsychiater wie z.B. beim DRT alle Antworten vor sich liegen haben und die Fehleranalyse ignorieren, da nur von Interesse ist, wie viele Fehler gemacht wurden und nicht, was das Kind nicht verstanden hat. Da wäre es doch zumindest als kleines Dankeschön an die teilnehmenden Lehrkräfte das nützlichste Geschenk gewesen, ihnen eine Fehleranalyse für ihre Klasse zu liefern und damit den teilnehmenden Schülern eine Chance auf gezielte Förderung zu bieten. Schade!

Alternative Schulen: 4 unangenehme Wahrheiten

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Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, haben von 17 Prüflingen aus der Freien Schule Glonntal nur 7 die Mittlere Reife bestanden. In den Vorjahren war das Ergebnis ähnlich. Eine sehr bezeichnende Aussage des dortigen Schulleiters ist für mich die Behauptung, die Schüler seien dafür verantwortlich, ihren Reifestand selbst einzuschätzen – wie sollen sie das denn, wenn sie noch gar nicht die nötige Reife haben, die man braucht, um Unreife als solche zu erkennen? Zitat aus der Süddeutschen “Er [der Schulleiter] verweist stattdessen darauf, dass es in der Verantwortung der Kinder liege zu erkennen, wann ihr Motivations- und Durchhaltevermögen ausgebildet sind: “Das ist nicht unser Job.””

Aus meiner Sicht ist genau das Teil des Jobs eines Pädagogen. Genauso wie die Pflicht zur Beurteilung – ob die nun in Noten erfolg oder in detailliert bewerteten Einzelkriterien, sei dahin gestellt. Aber sich einer Bewertung zu verweigern ist für mich bloß erzieherische Feigheit und Bequemlichkeit, mit denen man den Kindern einen Bärendienst erweist.

Da ich wiederholt von Eltern gefragt werde, ob ich für diese und ähnliche Schulen eine Empfehlung aussprechen kann, nehme ich das zum Anlass, um allgemein zu sagen: Wenn eine Schule unterschätzt, wie wichtig für die Zukunft von Jugendlichen handfeste inhaltiche Kompetenzen sind, lässt das viel zu wünschen übrig. So manche alternative Schule ködert sorgengeplagte Eltern mit der Aussage, man sei nicht so “hart” wie das vermeintlich “böse” Schulsystem. Ja, dieses System hat seine Fehler, und darunter leiden viele Schüler in mehr oder weniger starkem Ausmaß. Aber man darf sich gerade als Pädagoge nicht vor ein paar einfachen, aber manchmal unbeliebten Wahrheiten drücken:

1) Manche Persönlichkeitsaspekte und Verhaltensweisen sollten nicht als Individualität beweihräuchert, sondern dringend verändert werden, damit ein Kind später ein reifer, zur Selbsterziehung fähiger Erwachsener wird.

2) Es gibt keine berufliche Sicherheit und keine Lernerfolge ohne Leistung, ohne ein gewisses Maß an Bedürfnisverzicht und ohne regelmäßige Übung.

3) Verhaltensprobleme wachsen sich nicht aus. Wenn es so aussieht, als hätte sich etwas ausgewachsen, dann ist das einem Erzieher zu danken, dessen Einfluss den Eltern nur nicht bewusst ist.

4) Der richtige pädagogische Umgang mit sogenannten Lernstörungen wie Legasthenie, Dyskalkulie und erst recht allen Arten von Wahrnehmungsstörungen ist es, geduldig die in den “Symptomen” erkennbaren inhaltlichen Lücken aufzuholen. Wenn eine eher geringe Intelligenz dazu kommt, ist das schwerer, aber trotzdem möglich. Ein falscher Umgang ist es, den Unterricht um die “Störung” drum herum zu bauen und die betroffenen Leistungen fortan einfach nicht mehr zu bewerten. Das belässt das Kind nur in seiner Hilflosigkeit.

Das alles ist unser Job.

Förderung im Rechnen hilft Vorschülern nachweislich in der 1. Klasse

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Wie eine Studie der Universität Koblenz aktuell belegt, profitieren Vorschüler nachweislich von einer Rechenförderung, wie ich sie in der Zwergenschule durchführe. Das Zwergenschul-Konzept ist in einigen Punkten sogar noch gründlicher ausgearbeitet. Verglichen mit Kindern ohne eine solche Förderung profitieren die geförderten Kinder in vielerlei Hinsicht:

– Die Kinder verfügen über einen sichereren Zahlbegriff.

– Sie sind geschickter im visuellen Differenzieren

– Sie können ihr Zahlwissen schon in der 1. Klasse flexibler anwenden, Zahlwörter sicherer benutzen und besser addieren.

– Sie zeigen weniger Prüfungsangst und ein positiveres Selbstkonzept.

Bisher wurden die Effekte erst bis zum Ende der ersten Klasse untersucht. Ich gehe davon aus, dass eine weitere Untersuchung sich schwierig gestalten dürfte, da ein guter oder schlechter Unterricht in der zweiten Klasse einen starken Einfluss darstellt, den man kaum “herausrechnen” kann. Aber sicher ist: Eine gezielte, fachlich fundierte Förderung im Bereich Mengen & Rechnen hilft Kindern definitiv, in der ersten Klasse bessere Leistungen in Mathematik zu bringen und sich in diesem Fach sicherer zu fühlen.

Die Studie kann im Detail online nachgelesen werden.