Es gibt einen ganz eigenen Stil von Tiergeschichten mit kolorierten Tuschezeichnungen, den manche Kinder (und Eltern) besonders mögen. Die Bilder aus all diesen Büchern führen ein zweites Leben auf Kinderporzellan, nostalgischen Wandkalendern oder Baby-Stramplern. Warum? Weil sie niedlich sind und eine verlässliche, heimelige Welt heraufbeschwören.
Beatrix Potter: Sämtliche Geschichten von Peter Hase und seinen Freunden
In Potters Geschichten überlagern sich die Welt der Phantasie und die reale Alltagswelt wie zwei farbige Glasscheiben und schaffen dabei eine neue, faszinierende Ebene. Genau das scheint eine gewisse Phase der Kindheit auszumachen und kommt daher seit vielen Jahrzehnten gut an. So ist Peter in seiner Rolle als Hase auf der Suche nach leckerem Kohl aus dem Beet des Gärtners – aber wie jeder menschliche Junge muss er Löcher in der neuen Hose vermeiden, um von der Mutter nicht geschimpft zu werden. Auf diese Weise plätschern die Erlebnisse der tierischen Hauptfiguren harmlos und mit wohldosierten kleinen Gefahren dahin. Ein Gefühl von Teestunde am warmen Kamin stellt sich fast unweigerlich ein, wenn man durch diese Seiten blättert. Übrigens gehören die kleinen Tuschaquarelle von Beatrix Potter wohl zu den Bildern, die am häufigsten auf Kindergeschirr u.ä. zu finden sind, ohne allzu kitschig zu wirken. (Neben den Bildern von Ernest Shepard, dem Illustrator von “Winnie der Pu” und “Wind in den Weiden”.) Der hier vorgestellte Band versammelt alle Potter Geschichten auf über 300 Seiten in einer schönen Ausgabe.
Ein typisches Zitat: “Ihr dürft auf die Felder gehen oder den Feldweg hinunter, aber auf gar keinen Fall in den Garten von Mr. McGregor! Euer Vater hat dort einen Unfall gehabt und wurde von Mrs. McGregor in eine Pastete gesteckt!”.
Altersempfehlung: 4 – 7 Jahre, auch geeignet für Erstleser
Jill Barklem: Das große Buch von Brombeerhag
Story: Der Leser begleitet eine große, menschlich dargestellte Mäusesippe durch ihre alltäglichen kleinen Freuden und jahreszeitlich wechselnde Verrichtungen. Die Mäuse leben in einer Umgebung, die englischer nicht sein könnte: In “Brambley Hedge”, dem Brombeerhag, einer der abertausend Hecken, die Wiesen und Äcker voneinander trennt. Ihre Sitten und Bräuche entsprechen in etwa dem England des späten 19. Jahrhunderts; so gibt es adlige Mäuse, Bauern, Handwerker etc. Die Bücher sind liebenswert, harmlos, nostalgisch durch und durch; wer sie zum ersten Mal aufschlägt, seufzt innerlich leise “Oooooh wie niedlich!”.
Zwei Dinge vermutet man nicht, wenn man die Bücher vom Brombeerhag aufschlägt: Erstens, dass sie aus den 1980er Jahren stammen. Zweitens, dass fünf Jahre ernstzunehmende Recherchen der Autorin über frühere ländliche Bräuche, Kunsthandwerk und Naturkunde in die Bücher eingeflossen sind. Man versteht es aber, wenn man die unglaubliche Detailfülle der Bilderwelten näher betrachtet. Hier gibt es mehr zu entdecken als in jedem Wimmelbuch. Von allen Büchern aus diesem Themenkreis mein persönlicher Favorit.
Altersempfehlung: 4 – 7 Jahre, auch geeignet für Erstleser
Andreas H. Schmachtl: Tilda Apfelkern
Andreas Schmachtl verdanken wir nicht nur Snöfrid aus dem Wiesental
. Der anglophile Autor hat auch seine eigene Variante des Themas “Tiergeschichten im englischen Landidyll” geschaffen. Der auffallendste Unterschied zu Peter Hase und Brombeerhag liegt darin, dass die Bücher um Tilda Apfelkern wesentlich mehr Text als Bilder haben. Dieser längere Text klingt außerdem wesentlich lockerer als bei der Konkurrenz; der Leser wird als modernes Stilmittel teils direkt angesprochen, und der Wortschatz ist moderner als bei Potter und Barklem. Ansonsten sind die Gestaltungsselemente die gleichen wie bei den berühmten Vorlagen: Die Geschichten orientieren sich an den Jahreszeiten, man quiltet Decken, kocht Orangenmarmelade und trinkt Tee. Alles sehr englisch, in Sitten und Illustrationen, wenn auch bei weitem nicht so detailliert und treffend wie im Brombeerhag. Namen wie “Heckenrosenweg” oder “holunderblütenweiß” beschwören auf jeder Seite die britische Flora herauf.
Ein typisches Zitat: “Molly sorgte sich um wirklich alles – vom Lirum bis Larum und Löffelstiel. Tilda kannte sie eigentlich gar nicht anders und hielt es für wahrscheinlich, dass die gute Molly überhaupt nur deswegen so mausgrau aussah.”
Altersempfehlung: 4 – 7 Jahre, auch geeignet für Erstleser