Gut gereimt ist halb gewonnen. Leider sind manche Autoren sehr nachlässig und lassen recht lieblos gereimte Texte mit holprigem Versmaß stehen. “Reim dich oder ich fress dich” scheint manchmal das Motto zu sein, so als wären Kinderbücher nicht wert, dass man an seinen Texten feilt. Dabei ist gerade dort der Rhythmus besonders wichtig, wo vorgelesen wird. Im Hinblick auf die phonologische Bewusstheit von kleinen Kindern oder auch Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache ist es richtiggehend schädlich, wenn “Bär” sich auf “hör'” reinem soll, kurze Laute auf lange (Hahn – kann), harte Konsonanten auf weiche (Stunde – Lunte), und so weiter. Die folgenden Bücher sind allesamt mit Sorgfalt gedichtet und vergnüglich zu lesen.
Nadia Budde: Flosse, Fell und Federbett
Nadia Buddes “Flosse, Fell und Federbett
” ist eine gereimte Gute-Nacht-Geschichte. Das Kind ist noch gaaaar nicht müde, und der Teddy macht daher Vorschläge, was es alles tun könnte, anstatt ins Bett zu gehen: “Du könntest mit Meisen verreisen” – bezeichnenderweise sitzen hier Meisen und A-meisen im Cabrio, einer der vielen Kunstgriffe, die Buddes Bücher so gelungen und für die Interaktion mit dem Kind so unglaublich fruchtbar machen. Vorausgesetzt, man spricht über diese Feinheiten. Ein moderner Klassiker, der in keinem Kinderzimmer fehlen sollte. Noch ein wenig aus dem Text: “Kannst du abends gar nicht schlafen / und die Sache mit den Schafen / funktioniert nicht mehr bei dir / dann probier ein andres Tier! / Eins mit Borsten oder Feder / oder Schuppen oder Leder / Ohne Zählen / kannst du wählen / zwischen Flosse, Flügel, Fell / entscheide schnell!”
Altersempfehlung: 3 – 6 Jahre
Nadia Budde: Kurz nach sechs kommt die Echs
Nochmal Nadia Budde (man kann eigentlich alles von ihr lesen): Kurz nach sechs kommt die Echs
. Eine wunderbare Parodie auf den bekannten Reim “Kurz nach Sechs kommt die Hex’ “. Story: Eine Echse lebt ein furchtbar eintöniges Leben, bis eine Fee ihr des Nachts eine ganze Menge Wünsche gewährt. Das klingt so: “Nachts im Dunkeln träumt sie dann / dass sie sich was wünschen kann. / Sie wünscht sich: Süße Honigkaramellen, / etwas Schmuck vom Juwelier / oder blondes Haar mit Wellen / und ein kleines treues Tier. …” Nur leider werden die Wünsche zwar gemäß dem Wortlaut, aber nicht wirklich gemäß der Vorstellungen unserer kleinen Echse erfüllt. Die süßen Honigkaramellen locken störende Bienen an, der Schmuck von Juwelier entpuppt sich als viel zu schweres Halsband, und das blonde Haar mit Wellen ist so lang, dass sie sich darin einhüllen kann…
Altersempfehlung: 3 – 6 Jahre
James Krüss: James’ Tierleben
James Krüss ist ein Altmeister des Kindergedichts, und von kleinen Ausnahmen abgesehen findet man hier durchgehend witzige, hinter- und tiefgründige Gedichte, an denen Kinder und Erwachsene auf unterschiedlichen Ebenen Vergnügen haben. Der Wortschatz ist anspruchsvoll und geeignet, um selbst bei älteren Kindern das Vokabular zu erweitern. Für die Arbeit in der Primarstufe eignen sich die Gedichte ebenfalls gut.
Krüss verfasst übrigens auch Gedichte, die auf einer Art Herausforderung beruhen, wie er sie in “Mein Urgroßvater und ich” Uropa und Enkel bewältigen lässt. Zum Beispiel eine solche Herausforderung: “Ein C-Gedicht, in dem alle Arten, das C, das CH und das SCH zu schreiben und auszusprechen, vorkommen.” Aus dem Ergebnis: “Ein Hund mit Namen Bello / Ein Wachhund und Chow-Chow, / Der spielt auf seinem Cello / Den Cantus in Wau-Wau.” Krüss’ Tiergedichte findet man in James’ Tierleben
, das auch mit Hans Clarin (Sprecher des Pumuckl) und Vertonung einiger Gedichte auf DVD zu haben
ist.
Altersempfehlung: 4 – 6 Jahre, je nach Wortschatz, und später zum Selberlesen
Tipp für Vorleser:
Gerade bei Gedichten sollte man darauf achten, trotzdem mit den Kindern über unbekannte Wörter und die Aussage jedes Satzes zu sprechen. Der oft sprachlich sehr dichte Inhalt fordert das geradezu heraus. So sollte man z.B. bei “Gute Nacht” von Nadja Budde das Kind fragen, was denn bei “matten Ratten einen Besuch abstatten” der Unterschied zwischen Ratten und Mäusen ist, das “matt” hier bedeutet oder was es heißt, einen Besuch abzustatten. Der Wortschatz und die Ausdrucksfähigkeit profitieren hiervon ungemein. Und übrigens – vor ca. 100 Jahren war es üblich, dass gebildete Kinder 300 – 400 Zeilen Lieder und Gedichte auswendig beherrschen. Und zwar nicht aus Drill heraus, sondern weil ihnen mangels Fernsehen und Radio soviel vorgelesen wurde, dass sie ein sehr großes Repertoire an Gedichtetem hörten. Für die Merkfähigkeit war das mit Sicherheit eine ausgezeichnete Förderung. William Stern, der dies damals bereits erforscht hat, sah im spielenden Kleinkind sogar das Vorbild für den späteren Schüler, der ein Gedicht auswendig lernen soll: So, wie man mit dem Kind beim Wickeln, anziehen oder baden ein Gedicht zum Vergnügen immer wieder aufsagt, sollte man auch als Schüler Gedichte und anderes auswendig lernen, fand er. Dann wird daraus kein Drill, sondern eine angenehme Sache, und man bekommt einen guten Abstand zwischen den Wiederholungen hin.